Buchvorstellung Mythos Netz im Kulturtreff Balingen
Freitag 11. November 2005, 20:00 Uhr
Evangelisches Gemeindehaus Tobias Beck, Mozartstraße 35, 72336 Balingen


Rainer Fischbach
Mythos Netz: Kommunikation jenseits von Raum und Zeit?
Zürich: Rotpunktverlag, 2005
304 S., ? 22,00
ISBN 3-85869-301-4
www.rotpunktverlag.ch www.rainer-fischbach.info

Die Begriffe Netz und Vernetzung sind nicht nur allgegenwärtig, sondern scheinen auch Großes zu versprechen. Dabei wird zwischen ihren diversen Bedeutungen nicht so genau unterschieden: Netz kann sich auf eine Infrastruktur der Telekommunikation, des Verkehrs, der Versorgung etc. wie z. B. das Internet beziehen sowie auf ein Geflecht sozialer Beziehungen oder auf ein abstraktes Strukturmodell eines beliebigen Gegenstandes. Die Versprechen sind im Einzelnen:

  1. Die Aufhebung des Raumes: Entfernung spiele keine Rolle mehr, da das Netz, womit hier das Internet gemeint ist, auch die fernsten Orte kommunikativ vereinige.
  2. Einen Universalschlüssel zum Verständnis der Welt und zum Aufbau der zukünftigen Gesellschaft: Durch die Entdeckung von Netzstrukturen erschlössen sich die Geheimnisse der Welt und solche Strukturen bildeten auch die Grundlage für eine ebenso fortschrittliche wie stabile Gesellschaft der Zukunft und ihre Ökonomie.
  3. Die Entmaterialisierung der Wirtschaft: Das Netz ermögliche eine vor allem auf Wissen gründende Ökonomie, in der Materie keine Rolle mehr spiele. Diese Ökonomie funktioniere krisenfrei, da sich im Netz der perfekte Markt verwirkliche.
  4. Das Verschwinden der Städte und des Verkehrs: Das Netz ermögliche eine Zukunft jenseits der Städte, deren Probleme - Umweltbelastung, Verkehrsverstopfung, Kriminalität, Verwundbarkeit durch Naturkatastrophen und Terrorismus - unlösbar seien, und ohne Verkehr, da materielle Gegenstände sowie der der konkrete Ort ihre Bedeutung einbüßten.

Die Argumentation im Buch geht von zwei Grundeinsichten aus:

  1. Netzförmige Infrastrukturen des Verkehrs und der Telekommunikation heben nicht den Raum auf, sondern strukturieren ihn nur neu, definieren neu, was nah und was fern ist und schaffen so neue Gegensätze. Dies umso mehr, als der technische Fortschritt eine Ökonomie der Dichte schafft, die der kapitalistische Verwertungszwang verstärkt.
  2. Jenseits konkreter Infrastrukturen ist der Netzbegriff höchstens ein abstraktes Modellierungswerkzeug, das nur so viel leistet wie seine konkrete Anwendung bzw. der jeweilige Gegenstand. Er erlaubt keine allgemeingültigen Aussagen über die Leistung, die Flexibilität oder Stabilität der modellierten Gegenstände.

Vor diesem Hintergrund ergeben Detailuntersuchungen, dass weder der Raum noch die Materie verschwinden werden, dass wir auch in Zukunft in Städten und mit dichtem Verkehr leben werden, und das auch die Ökonomie weder reibungslos noch krisenfrei funktionieren wird. Im Gegenteil: Die moderne Telekommunikation mit dem Internet treibt den Verstädterungsprozess und das Verkehrswachstum im Weltmaßstab voran. Im Zusammenhang einer entfesselten kapitalistischen Ökonomie wird sie bestehende soziale, kulturelle und politische Gegensätze vertiefen und neue hervorbringen.