Vorstellung des Buchs Mythos Netz von Rainer Fischbach
und des Buchs zum Film Das Netz von Lutz Dammbeck
in der Berliner Buchhandlung PRO qm


Donnerstag, 3. November 2005, 20:30
Buchhandlung PRO qm
Alte Schönhauser Straße 48
10119 Berlin
www.pro-qm.de
Rainer Fischbach
Mythos Netz: Kommunikation jenseits von Raum und Zeit?
Zürich: Rotpunktverlag, 2005
ISBN 3-85869-301-4
Lutz Dammbeck
Das Netz - die Konstruktion des Unabombers
Hamburg: Edition Nautilus, 2005
ISBN 3-89401-453-9
www.rotpunktverlag.ch www.rainer-fischbach.info www.t-h-e-n-e-t.com www.expolar.de/kybernetik


Der Film Das Netz von Lutz Dammbeck spielt bewusst mit zwei Bedeutungsebenen des Begriffs: Es spürt einmal einem Netz, d. h. einem Kreis von Personen nach - es treten u. a. auf Stuart Brand, Robert Taylor, David Gelernter, John Brokmann und Heinz von Foerster -, die sich untereinander nicht nur gut zu kennen, sondern sich auch überwiegend mit demselben Projekt zu identifizieren scheinen: dem der Umgestaltung des Lebens mittels einer pervasiven Technik, die keinen Bereich auslässt. Das Netz im Sinne von Internet, persönliche Computer, Künstliche Intelligenz, bewusstseinsverändernde Drogen, psychologische Tests und Verhaltenstherapie erscheinen als Elemente einer Soft Power, die auf die totale Kontrolle des Lebens zielt. Die Konzepte der sozialpsychologischen Kontrolle, die Wissenschaftler und Geheimdienstler nach dem Zweiten Weltkrieg diskutierten verbindet sowohl mit der drogenseeligen Hippiekultur der 1960er als auch mit den damals revolutionär erscheinenden Ideen des persönlichen Computers mehr das verbreitete Bild der beiden letzeren wahrhaben möchte. Als Kontrastfolie für die Interview mit den Repräsentanten der kulturellen und wissenschaftlichen Elite, die jenes Netz bilden, fungiert der Briefwechsel mit dem ehemaligen Mathematikprofessor Ted Kaczynski, den die Welt vor allem als Unabomber kennt, und der etlichen Mitgliedern dieses Netzes angeblich Sprengstoffpakete schickte. Kaczynski stritt stets ab, der von FBI und Medien auf den Namen Unabomber getaufte Attentäter gewesen zu sein, doch an seiner Gegnerschaft zum Projekt der technologischen Kontrolle lässt er keinen Zweifel. Als Harvard-Absolvent und Professor in Berkeley schien Kacynski einst selbst zum Mitglied der US-Wissenschaftselite bestimmt zu sein. Welche Rolle seine Erfahrung als Proband in einem LSD-Experiment im Auftrag des CIA bei seiner Konversion spielte, ist nicht eindeutig zu beantworten. Er vertritt jedenfalls die Position, dass die Tendenz zur umfassenden Kontrolle des Lebens der modernen Technik inhärent sei und die Erhaltung der Freiheit ihre Zerstörung verlange. Aus der Montage von Interviews, Briefwechsel und historischen Rückblicken gelingt Dammbecks Film und eine Buch eine neue Sicht wesentlicher Züge der US-amerikanischen Nachkriegsgeschichte und zugleich von jüngerer Technik- und Wissenschaftsgeschichte. Das Buch zum Film gibt nicht nur alle Interviewtexte wieder, sondern enthält auch die deutsche Übersetzung des sog. Unabomber-Manifests, dessen korrigierte und autorisierte Fassung Kaczynski Lutz Dammbeck für die Übersetzung zur Verfügung stellte.

Mythos Netz von Rainer Fischbach berührt die Thematik von Dammbecks Film an mehreren Punkten. Das Buch macht im Mythos Netz hauptsächlich vier Komponenten aus, denen es jeweils ein Kapitel widmet: das Versprechen der Überwindung des Raumes, das eines Universalschlüssels zur Welt und zur zukünftigen Gesellschaft, das einer entmaterialisierten, rein auf Wissen gebauten Ökonomie, in der Netz und Markt verschmelzen, und schließlich das der Auflösung der städtischen Agglomerationen mit ihren immer unlösbarer erscheinenden Problemen. Diesen Verspechen stellt es die fundamentale These gegenüber, dass netzförmige Infrastrukturen des Verkehrs und der Telekommunikation, die ja immer im Raum zu realisierende Artefakte sind, diesen niemals aufzuheben, sondern höchstens neu zu konfigurieren vermögen, weil sich ihre raumverkürzende Kraft niemals homogen auf den ganzen Raum erstreckt: Sie definieren jeweils neu, was nah und was fern ist, ohne diesen Gegensatz aufheben zu können. Eine systematische Argumentation zeigt zudem auf, dass die moderne Telekommunikation sogar eine besondere Ökonomie der Dichte aufweist, die unter dem Zwang der Kapitalverwertung sogar verschärfte Form annimmt und zusammen mit anderen Kräften - der Tendenz zur Konzentration der zunehmend durch die Finanzsphäre ausgeübten Kontrolle über die Wirtschaft, der weiteren Ausdifferenzierung spezialisierter Dienste, der Notwendigkeit unmitelbarer Kontakte zur Erstellung komplexer Produkte und Dienste, den unspezifischen Vorteilen von Agglomeration und den starken Größenvorteilen auch anderer Infrastrukturen - mit für das ungebrochene Wachstum der Agglomerationen verantwortlich ist. Die Versprechen der Enträumlichung und Entmaterialisierung wie auch das des Netzes als Universalschlüssel erfahren vor diesem Hintergrund eine ideologiekritische Destruktion, die auch einige der angesagten Theoriegrößen - internationale Paul Virilio, Manuel Castells, David Harvey, Antonio Negri und Michael Hardt und nationale wie Norbert Bolz und Helmut Willke - nicht verschont. Hierbei wird auch deutlich, wie die reale Funktion der Infrastruktur Internet und die ideologische des Mythos Netz ineinander übergehen und Momente jener Soft Power bilden, von der Dammbecks Film handelt. Doch während die Ideologie eine schrankenlose, vereinheitlichte Weltgesellschaft fantasiert, schreiten die realen Gesellschaften zu vertiefter Polarisierung, zu verschärftem Ausschluss und zur Errichtung neuer Barrieren.